Komplexe Störungsbilder

Oft entstehen logopädische Befunde in Begleitung zu anderen Gesundheits- oder Lebensumständen.

Etwa die Hälfte der autistischen Menschen spricht gar nicht oder kommuniziert in Ansätzen mit Hilfe stereotyper Wörter oder kurzer Sätze, auswendig gelernter Redewendungen (Floskeln) oder wörtlichem Wiederholen von gehörten Wörtern oder Sätzen (Echolalie).

Andere haben Schwierigkeiten hinsichtlich Artikulation, Wortschatz, Grammatik oder Erzählen. Wieder andere drücken sich zwar auf hohem Niveau aus, jedoch ohne die Regeln und Normen eines zwischenmenschlichen Dialogs zu berücksichtigen und z. B. darauf zu achten, ob der Partner noch am Thema interessiert ist.

Unabhängig davon, ob die Fähigkeit vorhanden ist, selber zu sprechen, ist auch das Verstehen von Sprache mehr oder weniger beeinträchtigt. Während manche Betroffenen die Wörter und Sätze rein sprachlich kaum verstehen, liegt bei den meisten das Handicap woanders: Sie können nicht zurückverfolgen, worauf ein Sprachkürzel wie "Noch mehr!" oder "Ja so was!"  unausgesprochen Bezug nimmt, und was mit bildhaften Ausdrücken wie "Das junge Gemüse zuerst!" in der jeweiligen Situation gemeint ist. Darüber hinaus entgehen ihnen auch körpersprachliche Signale durch Gestik, Mimik, Haltung, Tonfall u.a., mit denen sprachliche Äußerungen verstärkt und Anliegen und Gefühle offenbart werden.
Hauptanliegen in der logopädischen Therapie ist also, einesteils jene Grundkompetenzen zu fördern, von denen Sprachentwicklung wesentlich abhängt, und andernteils Fertigkeiten in allen Bereichen der Sprache und des Sprechens aufzubauen oder zu verbessern - insbesondere die Kunst, Sprache passend zur jeweiligen kommunikativen Situation einzusetzen (Pragmatik).

Im Kindesalter spricht man generell von einer Hörstörung, wenn ein Kind im Hauptsprachbereich d.h. zwischen 250-4000 Hz einen Hörverlust größer als 20 db aufweist. Es können bei Kindern Schalleitungsschwerhörigkeiten und Schallempfindungs-schwerhörigkeiten unterschiedlichen Schweregrades sowie zentrale Hörverarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen auftreten.

Schalleitungsschwerhörigkeiten werden als Störung der Schallübertragung im äußeren Gehörgang und/oder Mittelohr definiert. Der Höreindruck ist mehr oder weniger stark gedämpft. Vorübergehende Schalleitungsstörungen aufgrund von Tubenfunktions-störungen, Paukenergüssen und Mittelohrentzündungen treten im Kindesalter häufig auf und können die Sprachentwicklung ungünstig beeinflussen.

Schallempfindungsschwerhörigkeiten sind bedingt durch eine Schädigung des Innenohres oder des Hörnerven aufgrund von Vererbung oder bestimmter Erkrankungen. Bei Kindern ist bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit anders als bei Erwachsenen meist das Hörvermögen über alle Frequenzen des Hauptsprachbereiches betroffen. Der Höreindruck ist nicht nur gedämpft, sondern auch in seiner Qualität verändert z. B. verzerrt.

Beide Arten von Hörstörungen kommen im Kindesalter auch im Zusammenhang mit syndromalen Erkrankungen wie Downsyndrom, Turnersyndrom oder Ushersyndrom vor.

Je nach Art und Schweregrad der Hörstörung stehen zunächst medizinische und/oder operative Behandlungen im Vordergrund, wie z. B. bei häufig auftretenden Mittelohrentzündungen oder Fehlbildungen des äußeren Hörorgans.

Besteht eine permanente Hörstörung, deren Ursache nicht behoben werden kann, ist die wichtigste therapeutische Maßnahme die Anpassung von Hörgeräten oder die Versorgung mit einem Cochlea Implantat, das eine spezielle Hörhilfe darstellt und operativ eingesetzt werden muss.

Weiterführende therapeutische und/oder pädagogische Maßnahmen haben das Ziel, mögliche negative Folgen kindlicher Hörstörungen auf die Gesamtentwicklung und Sprachentwicklung des Kindes zu vermeiden oder zu verringern.

Rhinophonien (Näseln) sind Störungen des Stimmklangs und der Artikulation, die durch eine gestörte Nasenresonanz entstehen. Grundsätzlich wird zwischen offenem und geschlossenem Näseln unterschieden. Das offene Näseln wird daran erkennbar, dass zu viel Luft bei der Bildung von Lauten entweicht, während beim geschlossenen Näseln keine Luft über den Nasenraum entweicht, was insbesondere bei den Nasallauten (/m/, /n/ und /ng/) deutlich wird. Die Verständlichkeit der gesprochenen Sprache kann durch eine Rhinophonie bis zur Undeutlichkeit eingeschränkt sein.

Je nach Verursachung der Störung werden konservative (z.B. Sprechstimmtherapie) und/oder operative Verfahren eingesetzt.

Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS), auch auditive Verarbeitungsstörungen (AVS) genannt, sind Störungen der Weiterverarbeitung gehörter Informationen. Dabei liegt weder eine Störung des Hörorgans selbst, noch eine Intelligenzminderung vor. Die Störungen betreffen den Hörnerven. Der Hörnerv leitet die Informationen an das Großhirn weiter, die dann dort weiter verarbeitet werden. Der Prozess der Weiterverarbeitung wird in auditive Teilfunktionen unterteilt, die in unterschiedlicher Art und Ausprägung betroffen sein können. Zu den auditiven Teilfunktionen gehören: Lokalisation (Richtung und Entfernung der Schallquelle), Diskrimination (Unterscheiden), Selektion (Herausfiltern) und Dichotisches Hören (beidohriges Hören).

Für die Behandlung sind im Regelfall 10 bis 20 Therapiestunden vorgesehen, sofern keine zusätzliche Sprachentwicklungsstörung vorliegt. Sie erfolgt ca. ein- bis zweimal wöchentlich als Einzeltherapie. Zusätzlich kann auch eine Gruppentherapie stattfinden, wobei darauf zu achten ist, dass die individuellen Schwierigkeiten des jeweiligen Kindes in der Therapie adäquat berücksichtigt werden.

Zentrale Inhalte der Behandlung sind die Beratung der Eltern und der mit dem Kind beschäftigten Pädagogen (Erzieher, Lehrer), die Modifikation der Hörumgebung (u. a. durch Berücksichtigung oder Optimierung der Raumakustik) sowie die gezielte Therapie der individuell beeinträchtigten Teilfunktionen. Sprachtherapeutische Computerprogramme können in der Behandlung unterstützend eingesetzt werden. Insbesondere für ein gezieltes Training der Selektionsfähigkeit ist dies notwendig. Der Einsatz technischer Geräte wie Ordnungsschwellentrainer, Hörwahrnehmungstrainer, Lateraltrainer oder das Hochtontraining nach Tomatis ist demgegenüber nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand nicht empfehlenswert.

Generell ist die Wirksamkeit einer Behandlung von AVWS umstritten, da systematische, umfassende und wiederholte Studien zu Therapieverfahren fehlen. Daher sollte der Therapieerfolg durch die Logopädin kritisch reflektiert und überprüft werden. Stellt sich kein Therapieerfolg ein, steht die Anpassung an die noch bestehende Problematik im Vordergrund.

So beschreiben Eltern oder Erzieherinnen das Verhalten selektiv mutistischer Kinder. Selektiver Mutismus ( lat.: mutuus = stumm) bedeutet, dass Kinder unter bestimmten Bedingungen nicht sprechen können, in anderen Situationen aber altersgerecht sprechend kommunizieren. Begleitet wird die Störung häufig von sozialer Ängstlichkeit, Regulationsstörungen des Schlafes, der Nahrungs- und Ausscheidungskontrolle.

Das - "unter bestimmten Bedingungen schweigende, unter anderen Bedingungen sprechende" - Kind lernt in der Therapie zunächst, außersprachlich mit einer "fremden" Therapeutin in Kontakt zu treten. Austauschendes Blickverhalten, Gestik und Mimik sowie gemeinsames Spielen schaffen das Vertrauen, um sich langsam auch sprachlich zu öffnen.
In einem spezifisch für das Kind gestalteten Therapiesetting erhält es Gelegenheit, seine kommunikativ-pragmatischen Kompetenzen zu erweitern und auch außerhalb der Familie zu erproben. Behutsam wird es angeleitet, seine scheinbar unvereinbaren Lebenswelten zu überbrücken, seine Selbstwirksamkeit in handelnder und sprachhandelnder Weise zu erfahren und gegebenenfalls auch seine sprachlichen Defizite zu überwinden.
Die Beratung und Einbeziehung der Eltern, aber auch anderer Systeme wie Kindergarten, Schule etc. durch begleitende Elterngespräche bzw. aufsuchendes Networking sind gleichfalls unerlässlich. Je früher ein selektiv mutistisches Kind erfasst und einer Therapie zugeführt wird, desto günstiger ist seine Prognose. Unbehandelt kann sich die Störung fixieren und im Selbstkonzept des Betroffenen so fest verankert werden, dass eine Veränderung der kommunikativen Möglichkeiten eingeschränkt wird. Negative Auswirkungen auf den Bildungs- und Berufsweg sind die Folge.

Bei Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Segel-Fehlbildungen (im Folgenden: LKGS-Fehlbildungen) ist die mündliche Kommunikation durch Veränderungen der Sprechatmung, des Stimmklangs und der Aussprache beeinträchtigen können.
Bereits im Säuglingsalter, vor allem in den ersten Lebenstagen, können unterschiedlich ausgeprägte Probleme beim Saugen, auftreten, die die Ernährung anfangs erschweren und die Eltern stark fordern. Wenn die betroffenen Kinder zu lautieren und später sinnvolle Wörter zu sprechen beginnen, klingt der Stimmklang häufig hypernasal (Rhinophonie), oder auch rau, heiser oder überhaucht, wenn die Kinder ihre Stimmbänder zu stark beanspruchen.

Die Logopädin berät Eltern bei der Auswahl richtiger Trinkflaschen und Sauger und unterstützt den Säugling selbst beim aktiven Saugen, wenn sie dafür eine spezielle Ausbildung absolviert hat. Eine frühzeitige spielerische logopädische Therapie, die um das 2. Lebensjahr herum beginnt, sorgt dafür, dass sich Lautfehler nicht festigen, sondern schnellstmöglich verändert werden können. Auch die Veränderung des Stimmklangs kann bereits mit Kleinkindern spielerisch erarbeitet werden kann. Die Logopädin informiert sich über alle bereits erfolgten Schritte der medizinischen Rehabilitation, die durchgeführten Operationen, die Versorgung mit einem Trinkplättchen und die aktuellen Befunde bezüglich des Hörvermögens. In vielen Fällen macht die logopädische Begleitung eines Kindes mit LKGS-Fehlbildung eine Langzeittherapie notwendig.

 

Je nach Behinderung ist das Risiko für eine Sprachentwicklungsstörung (SES), für Störungen der Mundmotorik (orofaziale Störungen) und Probleme beim Essen und Trinken (Organisch verursachte Störungen des Schluckens erhöht. Des Weiteren können sich diese Sprach- und Sprechprobleme nachteilig auf das Kommunikationsverhalten des Betroffenen auswirken, d.h. seine Fähigkeit mit anderen in Kontakt zu treten.

Die logopädische Behandlung für ein Kind mit einer Behinderung und die Betreuung seiner Familie lehnt sich eng an das Entwicklungs- und Gesundheitsmodell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an. Im Mittelpunkt steht das Kind mit seiner individuellen Kommunikations- und Sprachfähigkeit und seinen Möglichkeiten zur Teilhabe am Leben in der Familie und im sozialen Umfeld (Krippe, Kindergarten, Schule etc.). Eine Behinderung wirkt sich am stärksten auf die Teilhabe aus, d.h. die Behinderung führt zu Einschränkungen im Alltagsleben des Kindes und seiner Familie.

Ziel der logopädischen Therapie ist es, das Kind in die Lage zu versetzen, seine sprachlichen und kommunikativen Handlungsfähigkeiten im Alltag einzusetzen. Daher werden zunächst die sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten des Kindes (bspw. Blickkontakt, zielgerichtete Kommunikation) verbessert, d.h. es wird am "Symptom" gearbeitet.
Des Weiteren ist zu Beginn der Behandlung eine Beratung der Eltern bzgl. ihrer Kommunikation mit dem Kind sehr wichtig, da die Entwicklung von kommunikativen und sprachlichen Fähigkeiten des Kindes sich im dynamischen Dialog zwischen Eltern und Kind vollzieht. Eltern und Kinder sind hier in einem Lernprozess. Der Gebrauch von Sprache erleichtert dem Kind die Teilnahme an Aktivitäten des täglichen Lebens, die Inklusion in die Gemeinschaft gelingt leichter und die Selbständigkeit sowie der Aktionsradius des Kindes nehmen zu. Mögliche Therapiebereiche sind die Therapie der Sprachentwicklungsstörung, Unterstützte Kommunikation, Mund- und Esstherapie, Vorbereitung auf den Schriftspracherwerb sowie spezielle Programme wie bspw. "Kleine Schritte" bei Down-Syndrom.

TIPP: In der Broschüre "Therapieleitfaden Sprache" des Vereins "KiDS-22q11e.V." werden unterschiedliche Methoden zur Behandlung von Kindern mit 22q11 vorgestellt, die auch bei anderen Behinderungsarten eingesetzt werden und für Eltern zur Information empfohlen werden können. Der Leitfaden kann bei der Geschäfststelle des Vereins "KiDS-22q11e.V." bestellt werden.

Die Symptome sind vergleichbar denen der Sprechapraxie, d.h. die Planung von Sprechbewegungen ist gestört. Schon früh zeigen betroffene Säuglinge/Kinder Probleme bei der Nahrungsaufnahme, d.h. sie verschlucken sich häufig (husten), weil der Ablauf von Saugen-Schlucken-Atmen beeinträchtigt ist. Beim Übergang von breiiger zu fester Nahrung wird viel Speichel produziert. Auch kann zuweilen beobachtet werden, dass die Kinder grobmotorisch ungeschickt sind, d.h. sie neigen zu häufigem Stolpern. Die Sprachentwicklung dieser Kinder ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nur wenige Lalllaute produzieren (s. Sprechentwicklung). In den ersten Lautproduktionen fehlen die Konsonanten, sie produzieren eine Art "Vokalsprache" (z. B. "aaoo"). Sie werden auch als "stille Babys" bezeichnet und haben einen verspäteten Sprechbeginn ("Late Talker").

Das Training von Sprechbewegungsabläufen steht im Mittelpunkt der Therapie. Daher werden Übungen mit einer hohen Wiederholungsrate angeboten, d.h. tägliches Üben ist erforderlich, damit die Bewegungsabläufe automatisiert werden. Dies bedeutet auch, dass die Eltern auf jeden Fall in dieser Arbeit einzubeziehen sind.